Taras Bulba
Zu aller Zeiten und bei allen Völker zählte der Verrat zu etwas niedrigen, abstoßendem. Und zu allen Zeiten wurde der Verrat, Hochverrat oder Landesverrat, während des Krieges mit Todesstrafe belegt. In friedlichen Zeiten konnte man noch mit langen Gefängnisstrafen auskommen.
Seit Jahrhunderten beschäftigte sich die Literatur mit diesem Phänomen. An zwei Geschichten, die diese Erscheinung behandeln, kann ich mich auch heute noch erinnern.
Noch in den Schuljahren fiel mir ein Buch in den Hände, in dem ich eine Geschichte gelesen hatte, die mich so tief erschütterte, daß ich sie bis heute nicht vergessen habe, obwohl mir weder der Name des Schriftstellers, noch der Buchtitel in Erinnerung geblieben ist.
Es müßte ein italienischer Schriftsteller gewesen sein, da die „Carabinieri“ in Erscheinung traten und die Handlung könnte dem 19. J.h. zuschreiben werden.
Es ging um einen Bauer, der mit seinem etwa 12 oder 14 Jährigen Sohn in den Bergen Heu für sein Vieh für den Winter zurecht machte. Es standen schon einigen Heuhaufen fertig.
Im Mittelpunkt des Romans stehen der Kosakenanführer Taras Bulba mit seinen Söhnen Ostap und Andre. Das Kosakenheer zieht ins Feld. Es kam zu einer Schlacht zwischen den Kosaken und den polnischen Getmann (Heerführer), der mit seiner Streitmacht westukrainische Dörfer geplündert und die Einwohner ermordet hat. Auch die Frau von Taras war unter den blutigen Opfern.
Das polnische Heer verlor die Schlacht und floh hinter die hohen Mauern einer Festung. Die Kosaken belagern die Burg, der polnische Anführer ist mit seinem Heer am Verhungern. Die bildschöne Tochter des Getmanns, die Andre vor einiger Zeit begegnet war und in der er heimlich verliebt ist, läßt Andre durch einen unterirdischen geheimen Tunnel in die Burg kommen. Er bringt Nahrung mit. Um die Hand der Geliebten zu erhalten, stellt er sich in den Dienst des Getmanns und wird von ihm zum Heeresführer befördert. Andre begeht Verrat.
Durch den geheimen unterirdischen Gang unter der Festung unternehmen die belagerten Polen nach Anweisung Andre‘s nächtliche Überfälle auf das Kosakenlager und fügen diesen große Verluste zu.
Durch Zufall erfährt Taras Bulba vom Verrat seines Sohnes. Die belagerten Polen bekommen Verstärkung und es kommt zu einer Schlacht auf dem Feld. Als Taras unter den feindlichen Kriegern auf einem Roß seinen Sohn erkennt, befahl er seinen Kosaken Andre in den Wald zu locken, wo er auf ihn warten wird. In der Eifer der Schlacht merkt Andre nicht, daß er bald alleine die flüchteten Kosaken verfolgt. Plötzlich, im Wald, verschwinden die Kosaken hinter den Bäumen und vor ihm steht sein Vater. Er fordert ihn auf vom Pferd abzusteigen. Der Vater gibt ihn die Schuld am Verrat, Verrat an der Heimat, an den Kosaken, an den Freunden, an seinen Bruder und Vater. Andre schaut den Vater schweigend an. Zum Schluß spricht der Vater sein Urteil: „Ich habe dir das Leben gegeben – und werde dich auch töten“. Er hebt das Gewehr, zielt lange auf den Sohn und dann knallt es. Der Schuss traf tödlich. Taras kniet vor seinen toten Sohn und spricht mit trauriger Verbitterung zu ihn, oder zu sich selbst: „Was für ein mutiges und edles Gesicht! Du könntest ein guter Kosak sein. Du bist aber ein Verräter geworden“.
Die Polen bekamen inzwischen Verstärkung und griffen die Kosaken an. Die Kosaken verloren daraufhin die Schlacht. Ostap, der Bruder von Andre, wurde gefangen genommen und in die Festung gebracht, wo er vor der jubelnden Masse brutal hingerichtet wurde: erst wurden die Knochen aller Glieder klein geschlagen, dann wurde er enthauptet.
Bei der Verfolgung der geschlagenen Kosaken in den nächsten Tagen gelang es der polnischen Truppe Taras Bulba zu fassen. Er wurde an einen trockenen Baum gebunden und von den Polen bei lebendigem Leibe verbrannt. Drei Leben waren damit ausgelöscht: Taras Bulbas und seiner beiden Söhne (abgesehen von den zahlreichen Verlusten im Kosakenheer).
Das war der Preis des Verrats, den Andre begangen hat.
Johann Thießen
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